Bedeutung der Kalender

Die Bedeutung der Schreibkalender des 17. Jahrhunderts

Zuletzt geändert am 15.3.2019.

Der Schreibkalender – ein fast vergessenes Kommunikationsmittel für Wissenschaft, Bildung und Aufklärung

Die jährlich neu verfaßten Kalender besaßen als Massenmedium in der Frühen Neuzeit eine herausragende Bedeutung für das Alltagsleben der Menschen. Neben der Bibel und dem Betbuch war der Jahreskalender die am weitesten verbreitete, weil in fast jedem Haushalt gebrauchte Druckschrift.

Aus heutiger Sicht sind die Schreibkalender der Größe ca. 16 cm x 20 cm (in der Regel  im Quart-Format gedruckt) besonders wertvoll. Sie besitzen im zweiten Teil (dem Prognostikum) und im Verlauf des 17. Jahrhunderts auch in den ersten Teil (das Kalendarium) hineingebrachte interessante Textbeiträge sowie oftmals zahlreiche handschriftliche Eintragungen in der Schreibspalte oder auf zusätzlich eingebundenen unbedruckten Blättern. Diese Inhalte, gedruckte wie handschriftliche, bieten für die historische Forschung Möglichkeiten, die bislang vor allem bei den Kalendern des 17. Jahrhunderts nicht ausgereizt worden sind.

Bis Ende September 2008 wurden durch den Herausgeber rund 5500 solcher Schreibkalender im Quartformat nach Autopsie in ein Verzeichnis gebracht, dem weitere rund 800 Kalender infolge anderer Recherchemöglichkeiten hinzugefügt wurden. Diese Anzahl von mehr als 6000 Schreibkalendern, die aus der Zeit von 1600 bis 1700 überliefert sind, kann in etwa 550 verschiedene Kalenderreihen geordnet werden, bei denen rund 430 Verfassernamen auf den Titelblättern erscheinen. Als Kalendermacher mit den meisten Reihen wurden folgende Personen des 17. Jahrhunderts identifiziert: Gottfried Kirch (bis zu 17 Reihen, darunter 14 große Schreibkalender), Johann He[i]nrich Voigt (13), Johannes Vulpius (8), Paul Conrad Balthasar Han (8), Abraham Seidel (7), David Herlicius (6), Michael Krügener (6), Johann Grosse (6), Gottfried Gütner (6), Paul Nagel (5), Marcus Freund (5), Johann Christoph Sturm (5) und Johann Ulrich Oeler (5). Neben diesen sehr erfolgreichen Kalenderautoren behaupteten sich andere Verfasser mit meistenteils einer Reihe, gelegentlich auch mit zwei, drei oder vier.

Die rund 6300 großen Schreibkalender des 17. Jahrhunderts, die bislang als überliefert ermittelt werden konnten, werden im “Verzeichnis der Schreibkalender des 17. Jahrhunderts” benannt. Siehe: Acta Calendariographica – Forschungsberichte, Bd. 1, ISBN 978-3-941563-13-1.

Inzwischen wurden weitere Kalenderbestände ermittelt. Eine erste Sichtung der in Augenschein genommenen weit über 6000 Schreibkalender allein aus dem 17. Jahrhundert legt eine Erschließung auch für solche Forschungsbereiche nahe, in denen die Kalender bisher nicht als Material mit Quellenwert betrachtet wurden. Potential für die Erforschung des 17. Jahrhunderts mit gezielt fachübergreifendem Blick wird zu folgenden Gesichtspunkten gesehen

Aufklärung:
Frühaufklärung, Volksaufklärung;

Biographik:
Verfasser (Auflösung vieler Pseudonyme ist möglich; bislang wurden 3 Nachlässe von Kalendermachern gefunden: Gottfried Kirch, Johann He[i]nrich Voigt, Elias Ehinger), Verleger, Drucker, Förderer, Leser;

Handschriftliche Eintragungen:
von Adligen und ihren Gemahlinnen, Pfarrern, Superintendenten, Bürgermeistern, Ortschronisten, Kaufleuten, Kanzleischreibern, Bauern, Studenten usw.;

Kunstgeschichte:
Holzschnitte und Kupferstiche als Titelblätter und Textillustrationen;

Literaturgeschichte:
Dedikationen, Geleitgedichte, Dialoge, Lesepublikum, Grimmelshausen-Forschung, von Birken-Forschung;

Mediengeschichte:
Bekanntmachungen (Markttage, Boten und Posten, Gerichte, Predigten, fürstliche Verordnungen), Nachrichtenwesen, gelehrte Kommunikation, Zeitschriften;

Politische Geschichte:
Zensur, Privilegien, Herrschaftssicherung, Kalenderreform von 1700 und ihre Vorgeschichte (seit ca. 1650 mit Äußerungen in den Schreibkalendern);

Theologiegeschichte:
Physikotheologie, Chiliasmus, Pietismus, Atheismus, Frömmigkeitsbewegung;

Wissenschaftsgeschichte:
Astronomie, Medizin, Meteorologie, okkulte Wissenschaften, Pharmazie, Physik.

Zu jedem dieser Punkte lassen sich zahlreiche Beispiele in den Kalendern finden. Eine kleine Auswahl davon wurde von mir bereits an anderen Stellen vorgelegt, siehe:

Klaus-Dieter Herbst: Der Societätsgedanke bei Gottfried Kirch (1639-1710), untersucht unter Einbeziehung seiner Korrespondenz und Kalender, in: Beiträge zur Astronomiegeschichte, Frankfurt/M. 2002, Bd. 5, S. 115-151.
Ders.: Die Kalender von Gottfried Kirch, in: Beiträge zur Astronomiegeschichte, Frankfurt/M. 2004, Bd. 7, S. 115-159.
Ders.: Der Kalenderschatz im Stadtarchiv Altenburg, in: Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte, Stuttgart, Bd. 9 (2007), S. 211-239.
Ders.: Das Neueste im Jahresrhythmus. Zur Professionalisierung des Kalenderwesens im 17. Jahrhundert, in: Astrid Blome und Holger Böning (Hrsg.): Presse und Geschichte. Leistungen und Perspektiven der historischen Presseforschung, Bremen 2008, S. 97-124.
Ders.: Die Jahreskalender – Ein Medium für gelehrte Kommunikation, in: Klaus-Dieter Herbst und Stefan Kratochwil (Hrsg.): Kommunikation in der Frühen Neuzeit, Frankfurt/M. u. a. 2009, S. 189-224.
Ders.: Verzeichnis der Schreibkalender des 17. Jahrhunderts, Jena 2008 (= Acta Calendariographica – Forschungsberichte, Bd. 1), bes. S. 28-43 und S. 203-234.
Ders.: Die Kalender des Verlages Felsecker – Eine Bestandsaufnahme der Jahrgänge 1661 bis 1675, in: Johann Jakob Christoffel von Grimmelshausen: Simplicianische Jahreskalender. Europäischer Wundergeschichten Calender 1670 bis 1672 (Nürnberg), Schreib-Kalender 1675 (Molsheim). Faksimiledruck der vier Kalenderjahrgänge erstmals neu herausgegeben und kommentiert von Klaus Matthäus und Klaus-Dieter Herbst, Erlangen und Jena 2009, S. 279-354.
Ders.: Galilei’s astronomical discoveries using the telescope and their evaluation found in a writing-calendar from 1611. In: Astron. Nachr. / AN 330, No 6, S. 536-539 (2009) / DOI 10.1002/asna.200911212.
Ders.: Die Bedeutung des Mecklenburgischen Schreib-Calenders für 1685 im Kontext der Forschung zur Frühaufklärung in Deutschland, in: Acta Calendariographica – Kalenderreihen, Bd. 3.1, S. 11-26.
Ders.: Die Schreibkalender der Frühen Neuzeit – eine noch wenig genutzte Quelle für die Astronomiegeschichtsschreibung, in: Jürgen Hamel (Hrsg.): 400 Jahre Kepler, Galilei, das Fernrohr und die neue Astronomie, Berlin 2010 (= Sitzungsberichte der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin, Bd. 103, Jg. 2009), S. 31-48.
Ders.: Der Kalendermacher Johann Christoph Sturm im Kontext der Forschung zur Frühaufklärung in Deutschland, in: Acta Calendariographica – Kalenderreihen, Bd. 2.1, S. 11-18.
Ders.: Die erstmalige Benutzung von Keplers Rudolphinischen Tafeln für die Herstellung eines Schreibkalenders. In: Karsten Gaulke und Jürgen Hamel (Hrsg.): Kepler, Galilei, das Fernrohr und die Folgen. Frankfurt am Main 2010 (= Acta Historica Astronomiae, Vol. 40), S. 160-169.
Ders.: Die Schreibkalender im Kontext der Frühaufklärung, Jena 2010 (= Acta Calendariographica – Forschungsberichte, Bd. 2).
Ders.: Zum 300. Todestag des Astronomen und Kalendermachers Gottfried Kirch. In: Jürgen Hamel (Hrsg.): Gottfried Kirch (1639-1710) und die Berliner Astronomie im 18. Jahrhundert. Frankfurt am Main 2010 (= Acta Historica Astronomiae, Vol. 41), S. 22-33.
Ders.: Die Schreibkalender für das Jahr 1670. In: Peter Heßelmann (Hrsg.): Grimmelshausen als Kalenderschriftsteller und die zeitgenössische Kalenderliteratur. Bern [u. a.] 2011 (= Beihefte zu Simpliciana, Beiheft 5), S. 33-74).
Ders.: Der Kalendermacher Johannes Vulpius und seine Kritik am Ewig-währenden Calender Grimmelshausens. In: Ebd., S. 421-430.
Ders.: Das Pressemedium Zeitung in den großen Schreibkalendern. In: Volker Bauer und Holger Böning (Hrsg.): Die Entstehung des Zeitungswesens im 17. Jahrhundert: Ein neues Medium und seine Folgen für das Kommunikationssystem der Frühen Neuzeit. Bremen 2011 (= Presse und Geschichte – Neue Beiträge, Bd. 54), S. 87-114.
Ders.: Die großen Schreibkalender als medialer Ort der Kontroverse um die Deutung der Sonnenfinsternis vom 2./12. August 1654 als Vorbote des Jüngsten Tages. In: Rosmarie Zeller (Hrsg.): Apokalypse-Deutungen im 17. Jahrhundert in Theologie, Literatur und Kunst. Bern [u. a.] 2011 (= Morgen-Glantz, Bd. 21), S. 39-56.
Ders.: Zum rechtlichen Verhältnis zwischen Autor und Verleger im Kalenderwesen um 1670. Mit einem Blick auf Grimmelshausen. In: Peter Heßelmann (Hrsg.): Simpliciana XXXIII (2011). Bern, Berlin, Brüssel, Frankfurt am Main, New York, Oxford, Wien 2012, S. 319-339.
Ders.: Kommentiertes Verzeichnis der Schreibkalender für 1701 bis 1750 im Stadtarchiv Altenburg. Jena 2011 (= Acta Calendariographica – Forschungsberichte, Bd. 3).
Ders.: Von Astronomie bis Volksaufklärung. Neue Forschungen und Perspektiven. In: Klaus-Dieter Herbst (Hrsg.): Astronomie – Literatur – Volksaufklärung. Der Schreibkalender der Frühen Neuzeit mit seinen Text- und Bildbeigaben. Bremen und Jena 2012 (= Acta Calendariographica – Forschungsberichte, Bd. 5), S. 15-44.
Ders.: Frühaufklärung, Volksaufklärung, Aufklärung in dem “Altenburgischen Haushaltungs= und Geschichts= Kalender”. Eine zeitliche Längsschnittanalyse von 1646 bis 1842. In: Ebd., S. 237-267.
Ders.: Leipzig als Druckort von Kalendern in der Frühen Neuzeit. In: Detlef Döring (Hrsg.): Leipzigs Bedeutung für die Geschichte Sachsens. Politik, Wirtschaft und Kultur in sechs Jahrhunderten. Leipzig 2014 (= Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Leipzig), S. 347-398.
Ders.: Printmedien der Frühen Neuzeit. Thüringische Schreibkalender aus der privaten “Sammlung Ille” in Langenwetzendorf. In: Zeitschrift für Thüringische Geschichte, Band 68 (2014), S. 105-139.
Ders.: Jahrhundertealte Schreibkalender in Langenwetzendorf gefunden. In: Jahrbuch des Museums Reichenfels-Hohenleuben, Heft 59 (2014), S. 83-90.

Ders.: Öffentliches Räsonieren über die Kalendervereinigung in den Schreibkalendern der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. In: Rudolf Stöber, Michael Nagel, Astrid Blome, Arnulf Kutsch (Hrsg.): Aufklärung der Öffentlichkeit – Medien der Aufklärung. Festschrift für Holger Böning zum 65. Geburtstag. Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2015, S. 23–51.


Die Jahreskalender und Prognostiken für 1575 bis 1612 in der Marienbibliothek zu Halle. In: Jutta Eckle (Hrsg.): Auf einer anderen Erde und unter einem anderen Himmel. Zu den Kalendern, Praktiken, Prognostiken und Kometenschriften aus der Frühen Neuzeit in der Marienbibliothek zu Halle an der Saale. Halle (Saale) 2016 (= Kostbarkeiten und Raritäten einer alten Büchersammlung 4), S. 5–34

Die Erfindung des Schreibkalenders um 1540. In: Acta Calendariographica – Kalenderreihen, Bd. 3.3, S. 11-32. 

Die Kalendermacher – Namen, Leumund, sozialer Status. In: Klaus-Dieter Herbst, Werner Greiling (Hrsg.): Schreibkalender und ihre Autoren in Mittel-, Ost- und Ostmitteleuropa (1540–1850). edition lumière Bremen 2018, S. 19–43.

Von Ärzten und Astronomen zu Pfarrern und Lehrern. Neue For­schungen über die Kalendermacher und ihre Schreibkalen­der im deutschsprachigen Kulturraum. In: Klaus-Dieter Herbst, Werner Greiling (Hrsg.): Schreibkalender und ihre Autoren in Mittel-, Ost- und Ostmitteleuropa (1540–1850). edition lumière Bremen 2018, S. 11–18.

Gedanken zum Schreibkalender im 18. Jahrhundert. In: Lenz-Jahrbuch. Literatur, Kultur, Medien 1750–1800, Bd. 24 (2017), St. Ingbert 2018, S. 97–134.

Der Schreibkalender der Frühen Neuzeit und seine Autoren. Ergebnisse der Forschung. Mit einer Personalbibliografie sei 2006. In: Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte, Bd. 20 (2018), Stuttgart 2019, S. 94–124.