Bedeutung der Korrespondenz
Die den zeitlichen Rahmen von 1665 bis 1709 umspannende Korrespondenz von Gottfried Kirch bietet Möglichkeiten, die Welt eines Gelehrten im 17. Jahrhundert nicht nur wissenschaftshistorisch zu erfassen, sondern auch kultur-, literatur- und religionsgeschichtlich. Mit ihrer Veröffentlichung wird den in der Literatur erhobenen Forderungen nach Edition der brieflichen Quellen des Barockzeitalters und nach Auswertung der Briefe unter interdisziplinärem Aspekt Rechnung getragen.
Die Briefe liefern Details über das Entstehen und Nutzen von astronomischem und instrumentellem Wissen in der Phase der Frühaufklärung (Kirch entdeckte 1680 den Kometen C/1680 V1, 1681 und 1702 die Sternhaufen M11 und M5 sowie 1686 den Veränderlichen Chi Cygni; er erfand 1679 ein Schraubenmikrometer und baute selbst Fernrohre). Dabei erscheint Kirch von etwa 1680 an als Knotenpunkt des astronomischen Informationsflusses in den deutschen Ländern mit Verbindungen zum Ausland (Polen, Frankreich, England, Dänemark, Niederlande, Schweiz). Auch die Berufung zum ersten Astronomen der Brandenburgischen Societät nach Berlin spiegelt sich in den Briefen wider. Ferner findet man Einzelheiten über das familiäre Leben des Gelehrten und Alltagsprobleme sowie über die politische Situation in verschiedenen deutschen Städten (z. B. Lobenstein, Coburg, Leipzig, Guben und Berlin, den Wohnorten von Kirch) und Ländern der Zeit. Für die Literaturgeschichte ist er als Kalenderautor (seit 1666 mit zeitweise bis zu 14 Kalenderreihen pro Jahrgang) sowie durch die in seinen Schriften eingebundenen Lehrgespräche von Interesse. Die Briefe geben bisher unbekannte Details über Drucker, Verleger und andere Kalendermacher preis. Die um 1690 in Leipzig aufgetretenen Auseinandersetzungen um den Pietismus, dessen Anhänger Kirch war, finden ebenso ihren Niederschlag in den Briefen wie die 1699 beschlossene Kalenderreform in den protestantischen Ländern. Die Briefpartner entstammen sozial völlig unterschiedlichen Schichten, z. B. dem Bauernstand, dem Bürgertum und dem Adel sowie dessen Bediensteten. Auch hinsichtlich Bildung und Konfession der Briefpartner gibt es keine Grenzen, sie reichen von dem Bauern Christoph Arnold bis zu den Gelehrten Jean-Dominique Cassini, John Flamsteed und Gottfried Wilhelm Leibniz, von dem Pietisten August Hermann Francke bis zu dem Jesuiten Adam Adamandus Kochanski.